Wenn man sich dazu entscheidet Schiedsrichter zu werden, macht man vielfältige Erfahrungen; sieht menschliche Abgründe, gescheiterte Integrationsprozesse, aber auch Erfolgsgeschichten und Paradebeispiele für ein gemeinsames Miteinander. Letzteres möchte man häufiger sehen. Wenn selbst die ARD eine Reportage mit dem Titel Tatort Kreisklasse bringt, deutet einiges auf den insgesamt schlechten Zustand des Amateurfußballs in Deutschland hin.
Seit 2004 bin ich nun Schiedsrichter und stelle mich regelmäßig Beleidigungen bei diesem Ehrenamt. Und natürlich kommt man häufig in Versuchung, Vorurteile gegenüber Mannschaften mit ausländischen Namen zu entwickeln. Sie fallen einem häufiger negativ auf. Aber in der Kreisliga ist das fußballerische, vor allem das gesellschaftliche Miteinander niedrig.
Es war die 63 Minute.
Immerhin elf Jahre hat es gedauert, bis es zu einem unrühmlichen Höhepunkt beim Spiel in der Hamburger Kreisklasse kam. Es war die 63. Minute, in der es auf der Höhe der Mittellinie zu einem Zweikampf an der Außenlinie und zum Aufeinandertreffen zweier Spieler kam. Nachdem ich dazwischen ging, und sich der Spieler der Gastmannschaft entfernte, fielen einige Beleidigungen. Den daraus resultierenden Platzverweis akzeptierte der Spieler ohne Gegenwehr und Kommentar. Soweit, so gut.
Daraufhin kam ein weiterer Spieler der Gäste zu mir und wollte wissen, was los sei. Grundsätzlich bringt es in einer solchen Situation nichts, sich auf Gespräche einzulassen. Aber dennoch beantwortete ich ihm seine Frage. Als nächstes fing er an mir zu drohen, denn ich würde noch sehen, was passiert. Und natürlich lässt sich ein Schiedsrichter nicht bedrohen, also flog der Spieler vom Platz. Daraufhin kam er auf mich zugerannt. Es schien, dass er mich schlagen wollte. Währenddessen wiederholte er immer wieder: „Du wirst sehen, nach dem Spiel. Ich warte hier auf dich und dann wirst du sehen was mit dir passiert.“ Das erstaunliche war, dass er nur durch das beherzte Eingreifen von Gegenspielern (keiner seiner Kameraden) zurückgehalten werden konnte.
So etwas ist mir bis zu diesem Zeitpunkt in elf Jahren Schiedsrichter-Dasein noch nicht passiert. Dementsprechend aufgewühlt war ich, konnte mich aber wieder fassen und das Spiel zu Ende bringen. Nach Spielende lief der besagte Spieler auf mich zu und konnte wiederum nur von mehreren Personen zurückgehalten werden. Ich musste von Ordnern zur Kabine geleitet werden. So viel so gut.
“Schiri, wir wissen, wo dein Auto is…” war früher
Erfahrungsgemäß schläft man eine Nacht über solche Situationen und hakt sie ab. Doch in Zeiten des Internets und des Online Spielberichts auf www.fussball.de, kann man die Namen aller Beteiligten herausfinden. So war es nicht verwunderlich, dass der besagte Spieler am nächsten Tag die Kontaktaufnahme via Facebook versuchte. Leider war es keine Entschuldigung, sondern er drohte weiter mit Gewalt.
Einige Zeit später wurde eine Sportgerichtsverhandlung angesetzt, in der über den Vorfall, daraus resultierende Strafen und aus meiner Sicht eine gerechte Behandlung für das Schiedsrichterwesen entschieden werden soll. Ohne Umschweife gab der Beschuldigte alle Punkte zu, zeigte zwar kein Interesse aber ein wenig Reue. Die für Hamburger Verhältnisse „hohe“ Strafe lautet zehn Pflichtspiele sperre. Nur zehn Spiele, in denen sich der Spieler Gedanken über Respekt, Demut, Reue und Leistungsbereitschaft machen kann. Für mich eindeutig zu wenig.
Sittenverfall auf dem Fußballplatz
Aber in welcher Position bin ich, ein Maß festzulegen, was gerecht ist, und was nicht? Subjektiv betrachtet ist eine längere Strafe natürlich wünschenswert. Aber der Fußball sieht sich generell einem Sittenverfall ausgesetzt und dieses Problem ist nicht zu lösen, in dem man einzelne Spieler weg sperrt oder einer Mannschaft die Lizenz entzieht. Man muss sie mit ihrem Verhalten konfrontieren und auf diese Weise für mehr Respekt und ein stärkeres Miteinander plädieren.
Denn ohne Spieler, keine Mannschaft. Aber ohne Schiedsrichter, kein Fußball.